Jetzt sind geheime Notizen aufgetaucht. Aus ihnen geht hervor, dass Wirecard sein Geld zum größten Teil mit Geschäften verdiente, die nicht ganz lupenrein waren. Nach außen trat Ex-Chef Markus Braun hingegen ganz anders auf. Auch im Fall Jan Marsalek liegen neue Erkenntnisse vor. Annähernd sämtliche Einnahmen hat der ehemalige Dax-Konzern Wirecard aus dem sogenannten Drittpartner-Geschäft generiert. Darunter finden sich in erster Linie Glücksspiel- und Pornoanbieter. Diese Drittpartner (TPA – Third Party Acquirer) kümmerten sich in den Ländern um die Geschäfte, in denen dem Skandal-Konzern die Lizenzen fehlten, wie beispielsweise in Asien. Dafür sackte der Zahlungsdientsleister Wirecard dann saftige Provisionen ein. Einer großen deutschen Wochenzeitung liegt eine Gesprächsnotiz vor, in der geschrieben steht: „Herr B. (Abk. d. Red.) erläutert, dass über die TPA-Partner im Wesentlichen (circa 98 Prozent) sogenannte ‘High Risk’ Merchants ab­gewickelt werden.

Geheime Notizen im Wirecard-Skandal aufgetaucht

Wirecard

Die Geschäftsmodelle dieser High Risk Merchants seien u. a. Erwachsenenunterhaltung, Gaming, Gambling, Health & Beauty (Haarwuchsmittel, Diätpillen etc.).“ Diese Gesprächsnotiz ist Teil des Protokolls eines Meetings, das vor gut einem Jahr stattfand. Mit dabei war damals die Wirecard-Oberliga, die von Jan Marsalek und Oliver B. vertreten wurde sowie Wirtschaftsprüfer der Kanzleien Clifford Chance, EY und KPMG. KPMG war zu diesem Zeitpunkt mit einer Sonderprüfung beauftragt, um die Vorwürfe des Betrugs aufzuklären, die seit Jahren schwelten. Das Meeting war im Rahmen dieser Sonderprüfung anberaumt worden. Bis vor kurzem hatte der Ex-Chef des Zahlungsdienstleisters, Markus Braun, noch betont, dass Wirecard im Gegensatz zu den „Anfangsjahren“ so gut wie keine Zahlungen mehr aus dem Glücksspiel- und Pornobereich abgewickelt hätte. In einem Interview hatte er im Herbst 2018 gesagt: „Der Erotikbereich spielt keine Rolle mehr, das ist heute ja alles kostenlos. Gaming liegt bei unter fünf Prozent.” Es ist durchaus möglich, dass dies auf den Geschäftsbereich zutraf, den Wirecard über eigene Lizenzen selbst abwickeln konnte. Die Aussagen des ehemaligen Managers Oliver B. können jedoch nicht den Verdacht ausräumen, dass der Zahlungsanbieter in den letzten Jahren immer mehr „Hochrisikogeschäft“ durch Drittpartner organisierte und weiterhin kräftig daran verdiente. Seit 2017 soll Wirecard dem Insolvenzbericht zufolge ausschließlich mit TPA-Geschäften Gewinne erzielt haben. Selbst der größte Teil der Umsätze wurde durch Drittpartner generiert. Diese Umsätze kamen in erster Linie von Online Casinos und auch von pornografischen Seiten. Bei diesen Kunden liegen die Gewinnmargen deutlich höher, als bei anderen. Immer noch fraglich sind hingegen die tatsächlichen Einnahmen des von Skandalen umwitterten Unternehmens. Nach wie vor steht im Raum, dass ein „Großteil der ausgewiesenen TPA-Umsätze“ frei erfunden worden ist. Schließlich „... erwiesen sich Belege für Treuhandkonten, auf denen Milliarden-Einnahmen liegen sollten, als gefälscht. Der Insolvenzverwalter fand die Unternehmenskasse Ende weitgehend leer vor.“ EX-Wirecard-Boss Markus Braun sitzt in Haft. Sämtliche gegen ihn erhobenen Vorwürfe weist er immer noch entschieden zurück. Jan Marsalek, Brauns ehemaliger Vorstandskollege, ist auf der Flucht. Er gilt als Drahtzieher des ganzen Betrugs.

Der Wirecard-Skandal und seine “Geheimdienst-Aspekte” 

Der weltweit gesuchte Jan Marsalek ist am 19. vergangenen Jahres abgetaucht und wird aktuell irgendwo in Russland vermutet. Bevor er sich ins Ausland absetzte, soll er intensive Beziehungen zu diversen Sicherheitsbehörden gepflegt haben. Der Verfassungsschutz machte nun vertrauliche Unterlagen zugänglich, aus denen hervorgeht, dass der 40-jährige EX-Wirecard-Manager über insgesamt neun Pässe verfügte. Darunter waren acht verschiedene Reisepässe aus seinem Heimatland sowie ein Diplomatenpass aus Usbekistan. Dem Kölner Bundesamt für Verfassungsschutz soll darüber hinaus die Registriernummer eines karibischen Reisepasses vorliegen, der aus dem kleinen Inselstaat Grenada stammt. Im Sommer letzten Jahres beschäftigte sich der Generalbundesanwalt mit dem Verdacht, dass Marsalek „... eine mögliche nachrichtendienstliche Tätigkeit für einen russischen Geheimdienst“ ausgeführt hat. Der Inlandsdienst Russlands (FSB) hatte Einreisedaten gesammelt, die als Indiz hierfür galten. Bis September 2017 waren dort häufige Russland-Besuche Marsaleks gelistet. Am 15. September 2017 kam es jedoch zu einer Ausreise-Verweigerung, die dann wenige Stunden später wieder aufgehoben wurde. Von diesem Zeitpunkt an tauchen keine Einreisedaten mehr auf. „Insgesamt scheint sich das Reiseverhalten von Marsalek in Bezug auf Russland nach der verzögerten Ausreise im Jahr 2017 verändert zu haben,“ steht in einer Auswertung der Daten durch den BND (Bundesnachrichtendienst). „Dies spricht dafür, dass Marsalek entweder danach tatsächlich keine Reisen mehr nach Russland unternommen hat, oder dass die Reisen ab diesem Zeitpunkt nicht mehr in der Datenbank der Grenztruppen dokumentiert wurden.“ Mit dem BND selbst soll Marsalek laut einem Schreiben der Behörde an das Kanzleramt keinen Kontakt gehabt haben. Berührungspunkte hätte es auch mit dem Zahlungsanbieter Wirecard nur begrenzt gegeben. Die neuen Erkenntnisse im Fall Marsalek greifen nun die Oppositionsfraktionen im Bundestag auf. FDP-Finanzexperte Florian Toncar sagt: „Wenn es zutrifft, dass Jan Marsalek mit mehreren Pässen unter anderem in Bürgerkriegsgebiete reist, dabei offensichtlich beste Kontakte nach Russland und zum österreichischen Geheimdienst genießt und gleichzeitig einen Dax-Konzern führte, ohne dass der BND davon etwas mitbekommen hat, dann haben wir offensichtlich ein großes Sicherheitsproblem.“ Der Grünen-Abgeordnete Wolfgang Wieland, seines Zeichens ehemaliger Justizsenator von Berlin, hat seine Arbeit als Sonderermittler bereits aufgenommen. Im November wurde er vom Wirecard-U-Ausschuss des Bundestages eingesetzt, um die „Geheimdienst-Aspekte des Skandals“ näher zu beleuchten.